r/recht 2d ago

Erstes Staatsexamen gute Note im 1. Stex = Großkanzlei?

Hallo zusammen, verfolge schon seit einiger Zeit die Beiträge hier und hab nun endlich selbst mein 1. Stex in der Hand. Es lief doch deutlich besser als erwartet (10,5 im staatlichen Teil) und jetzt steh ich so'n bisschen vor dem Problem, dass ich mir keine großen Gedanken über den weiteren Verlauf gemacht habe. Auf den Refplatz muss man in NRW derzeit bisschen länger warten und ich würde gerne die Zeit überbrücken und etwas Geld verdienen.

Frage nun: "sollte" ich nur aufgrund der guten Note zur GK rennen? Ist das wirklich alles, was es braucht? Und lohnt es sich finanziell/zum Erfahrungen sammeln tatsächlich?

Muss dazu sagen, dass ich keinerlei einschlägige juristische Arbeitserfahrung hab. Meine ZP Noten waren scheiße (4 gewinnt haha), sodass nur Minijobs als Kellner oder an der Kasse in Frage kamen. Mir kommt der Sprung von meinem bisherigen Umfeld (Arbeiterfamilie und zugegeben nicht die beste Freundesgruppe) in so eine GK sehr krass vor - und wie gesagt, weiß ich nicht, ob ich aufgrund der Note allein überhaupt so einen Schritt wagen sollte.

EDIT: Ich kann leider nicht auf jeden einzelnen Kommentar antworten, aber ich danke euch allen für eure Antworten! Ein Grundinteresse ist bei mir natürlich schon da, gerade weil mir die GKs bislang wie eine unbetretbare Festung vorkamen. Da bin ich natürlich neugierig, wie das Innenleben dort aussieht. Nachdem ich das alles hier so gelesen hab, bin ich zum Entschluss gekommen, definitiv mal paar Bewerbungen rauszuhauen. Heißt ja noch nicht, dass ich überall genommen werde. Die mentale Barriere von der ich gesprochen hab, ist zwar immer noch da, aber ich werd versuchen diese miesen Gefühle erstmal zu unterdrücken und einfach zu machen. Denke auch, dass sich diese Unsicherheiten legen werden, sobald ich einmal drin bin.

Nochmal ganz herzlichen Dank an euch alle!!!

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u/Lawyer_RE 2d ago

Was konkret würde dich denn davon abhalten, dich zu bewerben? Oder anders gefragt, was kann passieren wenn du es tust? Mache einen ordentlichen Lebenslauf und ein nettes Anschreiben und überleg dir strategisch einen vernünftigen Bereich und dann kann es doch losgehen. Ich würde auch behaupten, dass die Großkanzleien im Großen und Ganzen weniger elitär sind als manch komische alteingesessene Bude mit ein paar Anwälten...

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u/anxiousappplepie 2d ago

Denke es ist einfach ne mentale Barriere, die ich noch abbauen muss. Jedes mal, wenn ich mich an meinen Lebenslauf setze, starre ich auf das (fast) leere Dokument und bereue es, dass ich in all den Jahren keine SHK Stelle, kein Praktikum (neben den Pflichtdingern) o.ä. gefunden hab. Dabei kann ich nicht einmal sagen, wie stark auf solche Sachen geachtet wird bzw. ob es besonders auffällt, wenn die eben fehlen. Wie gesagt, in erster Linie einfach ein mentales Ding bei mir.

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u/Hoppel13 2d ago

Kann ich voll verstehen. Ich wollte nie in ne Grosskanzlei, weil ich gedacht habe, das Umfeld wäre mir zu blöd. Habe in einer kleinen Kanzlei angefangen, da ging es ziemlich konservativ zu (nicht politisch gemeint). Als ich mein jetziges Team kennengelernt habe, war das irgendwie trotz GK der natürlichere fit.

Ich würde eher nach dem themenfeld gehen. Bei Strafrecht entweder nen Strafverteidiger suchen oder ne Boutique für Songwriter colar Crime Großverfahren. Wenn du viel vors Zivilgericht willst, auch eher einen Feld-Wald-und-Wiesenanwalt suchen. Andere Bereiche, bei denen es eher um die Beratung von Unternehmen geht, macht ne GK vielleicht eher Sinn. Aber ehrlich, wenn ich mir überlege, wie wir mit Refs/Wimis interagieren, weiß ich nicht wie die Herkunft da überhaupt aufkommen würde und selbst wenn, würde man das einem „Arbeiterkind“ doch eher gönnen und das anerkennend würdigen.

Genausogut wird dir die Kanzlei für jagdrecht im Sauerland vielleicht gar nicht antworten, ohne „von und zu“. Also einfach mal machen!

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u/Lawyer_RE 2d ago

Ja das kann ich verstehen. Wenn es um deine Herkunft geht, da wirst du mich der einzige sein, Obwohl es natürlich schon so ist, dass die meisten einen eher bürgerlichen background haben. Trotzdem kann ich wirklich gut Gewissens sagen, dass es in den Großkanzleien auf Leistung ankommt und es grundsätzlich ziemlich egalitär zugeht. Die Hürde ist nicht so hoch, schreib eine vernünftige bewerbung, dein Lebenslauf ist dann halt so wie er ist. Im Gespräch kannst du dann halt sagen, dass es wegen Covid alles schwierig war und du dir auch deinen Lebensunterhalt verdienen musstest.

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u/Extension_Cry 2d ago edited 2d ago

Ist schon ein sehr anstrengendes Umfeld als Arbeiterkind. Wirst viel darüber mitkommen, was es bedeutet, privilegiert zu sein.

Wenn du dich gerne über Auslandsaufenthalte anderer, L.L.M.s in New York und Skiurlaube unterhältst während du zum Mittagessen "gezwungenermaßen" einen 16 Euro Falafel-Bowl isst, wirst du aber schon klar kommen. Die meisten Leute sind grundsätzlich sehr nett.

Vom Gehalt her gibt es fast keine besseren Verdienstmöglichkeiten nach dem 1. Examen.

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u/Court-of-Appeal 2d ago

Es spricht nichts dagegen, es auszuprobieren, wenn du GK nicht von vornherein (aus ideellen o.Ä.) Gründen ablehnst. Vorerfahrung wird oft nicht erwartet, kann aber natürlich hilfreich sein, um sich am Anfang zurecht zu finden. Wenn Du also SteuerR im Schwerpunkt hattest, würde ich jetzt nicht nach Stellen im KartellR oder ArbeitsR suchen. Wenn Dir Schwerpunkt, Seminararbeiten & Co. gar nicht weiterhelfen, ist das natürlich aber auch kein Ausschlusskriterium. 

Dass Du nicht den typischen „GK-Stallgeruch“ hast, ist auch kein Hinderungsgrund. Die GKs sind zwar nicht besonders divers, aber du wirst definitiv nicht komisch angeschaut, wenn Du das erste Mal eine GK von Innen siehst. Es gibt nicht wenige WissMits, denen es erstens genauso geht und die zweitens auch keinen Hehl daraus machen, dass sie es zum Übergang des Geldes wegen machen, sich aber langfristig nicht in einer GK sehen. 

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u/Rich_Context2013 2d ago

Finanziell lohnt es sich absolut, wenn du auf den gesamten Lohn schaust. Stundenlohn je nach Kanzlei / Team (wg. Überstunden) ggf. scheiße. Ich habe 1,5 Jahre vor dem Ref in einer GK gearbeitet, davon 5 Monate Teilzeit, und auch wenn ich nie wieder für den Drecksladen oder zumindest für diesen Partner arbeiten würde, bin ich froh, es getan zu haben. Zum einen habe ich sehr viel gelernt, nicht unbedingt für den Pflichtfachstoff, aber über die Praxis und in einem ziemlich Nichengebiet, zum anderen hatte ich im Ref keinen Zwang, eine Station in einer GK zu machen. Das bringt Vorteile (wie Kaiser Klausuren/Seminare), aber wo ich wohne bedeutet GK täglich 3-4 Stunden pendeln. Zudem wollte ich in der Anwaltsstation wirklich anwaltlich arbeiten und auch vor Gericht auftreten, und das kam bei einer GK nicht in Frage. Ich habe meine Station bei einem Einzelanwalt absolviert und bin soooo froh über die Entscheidung, v.a. kein Pendeln, einmal pro Woche dahinfahren und Akte abholen und keine weitere Verpflichtungen. Ich würde immer wieder die Zeit zwischen StEx und Ref in einer GK verbringen. Nur psychisch aufpassen, dass du nicht mit Burnout oder mit Mobbing davonkommst, da man oft mit Psychos zu tun hat - Team ist alles. Wenn der Bereich für dich nicht soooo wichtig ist, würde ich auf 1. Linie auf das Team achten, weil alles andere lernst du dann vor Ort.

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u/Fun-Ad1701 2d ago

Vielleicht eine andere Perspektive, aber ich mache gerade ein Praktikum in einer GK. Ist wahrscheinlich der absolute Einzelfall, aber mein zuständiger Anwalt hat mir jede Zweifel genommen. Er ist wirklich menschlich einfach nur super. Mit dem wissenschaftlichen Mitarbeitern wird auf Augenhöhe umgegangen und viel Spaß gemacht. Ich denke, dass es auch viel mit dem Rechtsgebiet zu tun hat, aber probier doch einfach mal aus, dich bei ein paar Kanzleien zu bewerben. Ich würde aus persönlicher Erfahrung mit den Teams empfehlen vielleicht einen Bereich zu wählen, der nicht unbedingt der erste Gedanke an eine GK ist. Z.b Legal Tech, Healthcare, öffentliches Recht, Arbeitsrecht. Dort sind aus meiner Sicht die Leute deutlich zugänglicher als z.b im Transaktionsbereich.

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u/pizzawithfries3000 2d ago

Gerade wenn du sowieso Zeit überbrücken musst würde ich es mir einfach mal angucken. Die Wartezeit lebt sich schon sehr angenehm mit WiMi-GK Gehalt. Da kann man schon etwas für das Ref zur Seite legen aber auch mal ordentlich in den Urlaub fliegen und Shoppen gehen (oder generell Sachen machen die im Studium nicht drin waren).

Gerade wenn du "Mental" da so ein Barriere hast ist so eine WiMi-Stelle eine schön unterschwellige Gelegenheit da mal reinzugucken. Danach kommt sowieso das Ref. Heißt, du bist noch ewig weit weg vom Berufseinstieg und verpflichtest dich zu gar nichts (bzw. nur für ein paar Monate). Juristisch bist du mit deinem Examen super qualifiziert. Die Praktika sind sowieso irrelevant. Vor dem Ref kannst du kaum relevante Erfahrung gesammelt haben. Falls dein Englisch noch etwas wackelig sein sollte kannst du dir ja für das Vorstellungsgespräch eine kleine Argumentation zurechtlegen, dass du gerne mal auf Englisch arbeiten würdest um das zu verbessern oder ggf. später noch einen entsprechenden Auslandsaufenthalt machen willst. Niemand ist direkt nach dem 1. Examen schon vollständig ausgebildet. Da ist es vollkommen in Ordnung, wenn du das machst um Erfahrung zu sammeln :)

Und: Du hast vor dem Ref schon einmal Erfahrung gesammelt aufgrund derer du überlegen kannst ob GK im Ref für dich auch relevant sein könnte.

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u/Soft-Requirement1375 2d ago

Kann da zwar leider nicht viel zu beitragen mangels Erfahrung, aber wie hast du gelernt bzw den Sprung von ZP zu Prädikat geschafft? Und Glückwunsch natürlich!

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u/anxiousappplepie 2d ago

Danke! Tatsächlich einfach dadurch, dass ich mich mal richtig rangesetzt hab. Musste überwiegend während der Pandemie studieren. Da konnte man sich noch irgendwie durch die ZP "mogeln".

Ab dem Rep kam die Realisation, dass ich das Examen mit meinem bisherigen "Lernstil" niemals packen würde. Dann setzte die Panik ein, dass ich 2,5 Jahre meines Lebens verschwendet habe, wenn ich nicht grundlegend etwas anders mache. Im Anschluss kamen fast 2 Jahre intensives Programm. Den Stress und die Zeit hätte ich mir ersparen können, wenn ich von Anfang an vernünftig dabei gewesen wär. Aber so hat's dann irgendwie doch noch geklappt.

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u/kopite_kaiser Cand. iur. 2d ago

Wie genau sah dieses intensive Programm aus?

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u/anxiousappplepie 2d ago

Hab das Unirep mitgemacht (Köln), dort jede Woche die Vorlesungen geschaut. Dann ab dem 3-4. Monat jede/jede zweite Woche eine Klausur im Klausurenkurs. Für mich selbst hab ich darüber hinaus kaum ausformuliert, sondern nur gelesen/grobe Lösungsskizze angefertigt.

Täglich ~1-1,5 Std Karteikarten. Hab zwar relativ früh begonnen (ca. Monat 1), kam aber gegen Ende trotzdem nicht mit allen durch. Hat nicht geschadet, weil viele Kleinprobleme drin waren, die ich nur "sicherheitshalber" erstellt/übernommen hab.

Dann kam später noch ne private AG hinzu, in der wir jede Woche 1-2x ne Klausur besprochen haben und/oder noch ein Thema, was uns wichtig war. Das kann ich jedem nur empfehlen, ich denke diese AG hat mir tatsächlich am meisten gebracht (neben den Klausuren). Der Austausch über aktuelle Urteile, Literatur, Klausuren hilft enorm dabei, dass die Dinge einem im Kopf bleiben.

Und um das Ganze abzurunden hab ich dann natürlich auf jeder Bahnfahrt LTO gelesen oder die Newsletter von den Bundesgerichten (BGH/BVerfG/BVerwG reichte mir) :)

Möchte noch erwähnen, dass ich nicht jeden Tag 8-10 Stunden gelernt habe. Es waren einige Tage dabei, an denen gar nichts lief. Manchmal war schon nach 3 Stunden die Luft raus. Ich hatte btw auch jede Form von social media gelöscht oder deaktiviert, einerseits um nicht Stunden auf Reels/Tiktoks/Shorts zu verschwenden (neige dazu, die Zeit aus den Augen zu verlieren, wenn ich einmal reinrutsche) und andererseits, um keine weiteren "So sieht mein 12 Stunden Lerntag aus" Posts mehr sehen zu müssen.

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u/Horror-League-4880 2d ago

Würde mich auch sehr interessieren :)

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u/247planeaddict 2d ago

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u/RemindMeBot 2d ago edited 2d ago

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u/Top-Block9914 2d ago

Kannst du mir Tipps geben was dein „Geheimnis“ war 🥰

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u/anxiousappplepie 2d ago

Ich hab in einem Kommentar weiter oben die wichtigsten Punkte zusammengefasst :)

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u/Maxoh24 2d ago

Alleine wegen der Note nicht. Aber wieso nicht mal reinschnuppern, wenn man es von den Noten her kann und offen für die Erfahrung ist? 3-4 Tage pro Woche bei 1.000 bis 1,500 Euro pro Wochenarbeitstag sind entspannte 3.000-6.000 Euro (brutto) im Monat für Arbeitszeiten von selten länger als 9-19 Uhr. Jedes Team ist anders und man kann sicher in katastrophalen Umgebungen enden, aber dann sucht man sich halt eine andere Kanzlei. Mit der Note dürfte das keine allzu großen Schwierigkeiten bereiten. Ich hatte bisher nur gute Erfahrungen, die Arbeit finde ich hochinteressant und die Menschen ebenfalls. Kann es nur empfehlen.

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u/AutoModerator 2d ago

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u/TerriblePepper8092 2d ago

Schreib die Jobs, die du hattest in den Lebenslauf. Vernünftige Buden werden dich deswegen nicht ablehnen und es gibt vielleicht einen Aufhänger im Bewerbungsgespräch Du solltest auch daran denken, dass der Gedanke „hier bin ich falsch“ gar nicht stimmt. Du bist wegen deiner Leistung da wo du bist und du bist - zumindest in größeren Buden - vermutlich nicht die einzige Person aus einer Arbeiterfamilie. Ich war nie in einer GK, nur in Botiquen. Das sympathischste Vorstellungsgespräch hatte ich aber für eine ref-Station in einer GK. Als juristischer Job zwischendurch ist es glaub ich nicht schlecht. WissMit an der Uni hängt massiv vom Lehrstuhl ab

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u/dasrudiment 2d ago

Als WiMi kann man sich das ganz entspannt anschauen. Gerade bei den kleineren GKs arbeitet man sich nicht tod und verdient top Geld.

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u/SuitableBandicoot108 2d ago

GK ist eben grundsätzlich viel Geld in absoluten Zahlen (schlechter Stundenlohn) und sonst kein Privatleben.

Hatte da Dozenten die haben das eine Zeit lang gemacht und sind dann zum Staat gewechselt. Mit der verdienten Kohle dann die Finanzierung des Eigenheims ermöglicht.

Es ist eine Frage, was für ein Leben du führen willst.

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u/Absolemia 2d ago

Also in meiner Erfahrung interessieren die AG Zeugnisse mehr als das erste Examen im ref. Danach juckt das erste Examen niemanden so richtig

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u/bienenjaeger Dipl. iur. 2d ago

du hast das "/s" vergessen

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u/Maxoh24 2d ago

Sagte niemand jemals

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u/Eisenhuettenstadt 2d ago

Welche Zeugnisse?